Das Arbeitsgericht Freiburg hat jetzt einem schwerbehinderten Arbeitnehmer das besondere Schutzrecht des Präventionsverfahrens (§ 167 Abs.1 SGB IX) bereits in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses zugestanden. Eine Kündigung war somit unwirksam. Dies stellt aus Sicht von ver.di eine notwendige und zeitgemäße Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dar. Vertreten durch den Rechtsschutz der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di konnte für den schwerbehinderten Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis mit der Stadt erstinstanzlich erhalten werden. Die Arbeitsbedingungen gelten unverändert weiter.
Der Kläger hatte sich im Februar dieses Jahres nach Erhalt einer Kündigung an die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (ver.di) gewandt. Er wurde bei der Stadt Freiburg seit Oktober 2023 als Sachbearbeiter beschäftigt. Er verfügt über eine umfangreiche Qualifizierung und ist breit einsetzbar. Mit einem Grad der Behinderung von 50 ist er als schwerbehinderter Mensch anerkannt, was er schon bei seiner Bewerbung offenlegte.
Vor Ausspruch der Kündigung leitete die Stadt kein Präventionsverfahren gem. § 167 Abs.1 SGB IX ein.
Gesetzlich ist in § 167 Abs.1 SGB IX vorgesehen, dass der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die Personalvertretung sowie das Integrationsamt einschaltet. In diesem Verfahren sind alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Die Stadt sah entsprechende Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis des Klägers, leitete jedoch kein Präventionsverfahren vor Ausspruch der Kündigung ein.
Nach Bewertung der Rechtsabteilung von ver.di verstieß dies gegen den europarechtlichen Schwerbehindertenschutz, der bereits in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses effektiv umzusetzen ist.
Mit Urteil vom 04.06.2024, Aktenzeichen 2 Ca 51/24, hat das Arbeitsgericht Freiburg nunmehr erstinstanzlich im Interesse des schwerbehinderten Mitarbeiters entschieden und festgestellt, dass dessen Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden ist.
Es war eine Benachteiligung darin zu sehen, dass die beklagte Stadt die Kündigung ausgesprochen hat, ohne zuvor ein Präventionsverfahren einzuleiten. Diese Verpflichtung gelte laut Gericht, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere auch schon ab Beginn des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen und nicht erst ab dessen sechsmonatigen Bestandes.
Das Präventionsverfahren ist ein Verfahren, in dem insbesondere die Bedarfe des schwerbehinderten Arbeitnehmers und die Möglichkeiten des Arbeitgebers festgestellt werden können. Es soll der Anspruch von schwerbehinderten Menschen auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können, gesichert werden und dies laut Gericht bereits ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses.
Die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bewertet die Entscheidung des Arbeitsgerichts Freiburgs als wegweisend und großen Erfolg für den Schutz schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben. Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg schließt eine wesentliche Lücke im Schwerbehindertenschutz gerade zu Beginn des Arbeitsverhältnisses.
Es bleibt zu hoffen, dass diese erstinstanzliche Entscheidung auch nach zu erwartender Rechtsmitteleinlegung durch die Stadt Bestand haben wird.
Ver.di geht hier davon aus, dass auch das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung im Interesse des effektiven Schwerbehindertenschutzes anpassen wird.